Viele Menschen denken bei dem Stichwort „Natur“ sofort an üppig wachsende, dichte Wälder. Jedoch haben sich Lebewesen im Laufe der Jahrmillionen an alle möglichen verschiedenen Lebensräume angepasst, zu denen auch die eher karg erscheinenden Landschaften gehören. Solche ursprünglichen, brachen Habitate sind heutzutage sehr selten geworden, da ihnen oftmals weniger Wert beigemessen wurde und sie der Landwirtschaft oder der Bebauung weichen mussten. Folglich sind auch deren Bewohner inzwischen überdurchschnittlich stark gefährdet. Eine Chance bietet sich hier durch sekundär erschaffene Lebensräume, wie sie beispielsweise im Bereich alter Tagebaue zu finden sind – so auch im Naturschutzgebiet (NSG) Werbeliner See.
Einer dieser seltenen Bewohner ist das Braunkehlchen. Es bewohnt offene Landschaften mit einer reich strukturierten Gras- und Krautflur. Sein Nest baut es direkt am Boden, gut versteckt zwischen den Halmen. In kurzen Jagdflügen geht es auf Insektenjagd, gelegentlich spaziert es auch zu Fuß durch die Wiese auf der Suche nach kleinen Bodentieren und Spinnen. Wachsen Gebüsch und Bäume auf, kann das Braunkehlchen dort nicht mehr leben. Diesen Prozess können wir im ganzen NSG beobachten, wo die ehemals offenen Flächen zunehmend verschwinden und viele der damals besiedelten Stellen inzwischen verwaist sind. Wo früher Ausweichmöglichkeiten auf extensiv bewirtschafteten Flächen und in Auen unbegradigter Flüsse existierten, ist heute nur intensive Landwirtschaft zu finden. Das Naturschutzgebiet Werbeliner See ist ein beliebter Spot, auch beim Braunkehlchen. Das Gebiet beherbergt die größte Teilpopulation des Landkreises Nordsachsen sowie die größte Flachlandpopulation in ganz Sachsen. Doch auch hier ist der Abwärtstrend alarmierend: Der Bestand sank von etwa 50 Brutpaaren im Jahr 2013 auf aktuell weniger als zehn Brutpaare, was direkt auf den Habitatverlust zurückzuführen ist. Die europäische Population dieser Art ist in den letzten Jahrzehnten extrem eingebrochen, auf der Roten Liste Deutschlands wird sie inzwischen als „stark gefährdet“ geführt.
Natürlich ist das Braunkehlchen hier nur ein Stellvertreter für die Bewohner dieser offenen Landschaften. Es könnten an dieser Stelle unzählige weitere Tier- und Pflanzenarten genannt werden, die auf derlei Habitate angewiesen sind und deren Bestände kontinuierlich abnehmen. Um dem entgegenzuwirken, müssen viele verschiedene Lebensräume geschützt und erhalten werden. Innerhalb unseres Naturschutzgebiets bedarf es daher eines mosaikartigen Netzwerks verschiedenster Habitate, welches möglichst vielen Tieren und Pflanzen Lebensraum bietet und damit eine hohe Biodiversität aufweist.
Deshalb wird an ausgewählten Stellen im Naturschutzgebiet aktiv der Verbuschung entgegengewirkt und Flächen werden freigehalten. Dazu werden an mehreren Aktionstagen in diesem Winter die aufkommenden Gewächse gefällt und aus dem Gebiet entfernt. Dies geschieht in Kooperation mit der Unteren Naturschutzbehörde, der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU), dem NABU Delitzsch und vielen freiwilligen Helfenden. Die nächsten geplanten Aktionstage können Sie in unseren Terminen finden. Wenn Sie sich ebenfalls beteiligen möchten, können sich per Telefon oder Email bei uns anmelden – wir freuen wir uns sehr auf Sie!